HNO mit Herzblut
Willy Brandt war Bundeskanzler, Gladbach Deutscher Meister und die Beatles frisch getrennt – ja, solange ist es schon her, dass die erste Ausgabe der HNO-Nachrichten aus der Druckmaschine lief. Was damals mit dem Slogan „Liquidieren wird einfacher“ begann, kann dieses Jahr 50. Geburtstag feiern – eine lange Zeit für eine Fachzeitschrift und Grund genug für einen stolzen Blick zurück.
In den Anfangsjahren war eine Ausgabe der HNO-Nachrichten eine übersichtliche Sache: Der Umfang betrug selten mehr als 20 Seiten und die waren prall gefüllt mit BMÄ, GOA, E-GO, KVB 1-IlI und BG. Hinter diesem Konzept stand Dr. Gert B. Bienias, der erkannt hatte, dass viele Kollegen Nachholbedarf bei dem Themen Abrechnung und Praxisorganisation hatten. Er selbst hatte eine der größten HNO-Einzelpraxen in München, war gewählter KV-Vertreter, Betriebsarzt, Fliegerarzt sowie Oberst der Reserve bei der Luftwaffe – alles in allem eine beeindruckende Persönlichkeit.
Pflichtlektüre Abrechnungstabellen
Allmonatlich am zweiten Donnerstag traf sich in der 1970er-Jahren im Kolpinghaus am Stachus der Münchner HNO-Stammtisch. Dr. Bienias war Prüfarzt für die KV-Abrechnung und berichtete über aktuelle Entwicklungen, was sich oft direkt in einem steigenden Fallwert der Münchner Kollegenschaft niederschlug. Solche Tipps auch anderen niedergelassenen HNO-Ärzten zukommen zu lassen, war ein Motiv für die Gründung der HNO-Nachrichten. Sie erschien ab 1970 alle zwei Monate und stieß schnell auf großes Interesse im ganzen Bundesgebiet. Das Highlight waren die Abrechnungstabellen.
Den „Einheitlichen Bewertungsmaßstab“ (EBM) gab es damals noch nicht, die Kassenabrechnung erfolgte mit dem „Bewertungsmaßstab Ärzte“ (BMÄ). Den gab es in zwei Versionen, einen für die Regional- und einen für die Ersatzkassen, beide umfassten hunderte von Positionen. Jede Leistung vom Ohrstreifen bis zur Tonsillenbehandlung musste einzeln abgerechnet werden. All das erfolgte natürlich noch ohne PC-Unterstützung und kumulierte am Quartalsende, weshalb viele Praxen dann für die Abrechnung geschlossen waren.
Auch das berufspolitische Engagement von Dr. Bienias – er war bayerischer Landesvorsitzender des HNO-Berufsverbandes – schlug sich in den HNO-Nachrichten nieder. Weitere praxisorientierte Themen kamen hinzu, die in den Rubriken „Gesundheitswesen“, „Honorarhinweise“, „Personal“, „Steuern“ und „Arzt und Recht“ abgebildet wurden, sowie Buchrezensionen und Veranstaltungshinweise. Medizinische Fortbildung, wissenschaftliche Beiträge oder gar Originalarbeiten waren dagegen nicht vorgesehen. Anders als heute gab es auch keinen Beirat – alles erfolgte in Alleinregie von Gert Bienias.
Kleben im Redaktionsbüro
Zweiter Chefredakteur der HNO-Nach-richten wurde 1994 Dr. Hartmut Sauer.
Er war den HNO-Nachrichten schon während seiner Facharztweiterbildung begegnet, hatte sie aber beiseitegelegt, weil er fand, eine solche Zeitschrift hätte in der wissenschaftlichen Literatur des Faches nichts verloren. Eine Einschätzung, die sich ändern sollte, als sich Sauer am Ende der Facharztweiterbildung für eine praxisbezogene Laufbahn entschied und nach München wechselte. Er war dort zunächst leitender Arzt einer HNO-Belegklinik und hatte niedergelassene Kollegen zu koordinieren – einer davon Gert Bienias. Aus diesem fachlichen Kontakt entwickelte sich spätestens dann eine Freundschaft, als Sauer selbst in die Niederlassung wechselte, und so kam 1994 das Angebot die Nachfolge anzutreten nicht überraschend.
Hartmut Sauer erinnert sich noch gut an den Tag, an dem Gert Bienias ihn und seine Frau Ysabelle zu sich nach Hause eingeladen hatte, um sein „Redaktionsbüro“ zu präsentieren: „Das Büro bestand im Wesentlichen aus vielen Fächern und Ablagen, darin ordentlich verteilt Bleistifte, Radiergummis, Filzschreiber, Buntstifte und vor allem Klebematerialien. Was es damit auf sich hatte, sollte ich schnell verstehen: ,Schau, das ist ganz einfach. Du machst doch sowieso regelmäßig Deine Fortbildung. Du liest die Fachzeitschriften. Und alles das, was Dich interessiert, trennst du raus, sammelst und ordnest es ein. Alles was wichtig ist und vor allem die Kollegenschaft interessieren könnte, wird dann entsprechend zusammengefasst, ausgeschnitten, zusammengeklebt, gegebenenfalls mit Verbindungstext versehen. Und dann hast Du schon einen entsprechenden Beitrag. Wichtig dabei wegen der Presserechtsbestimmungen: Immer die Quelle nennen! Gut, dachte ich, wenn es so einfach ist, ein bundesweit erfolgreiches Fachmagazin zu bestücken, will ich es zumindest versuchen.“ Der Wechsel in der Chefredaktion fiel mit dem 25-jährigen Jubiläum der Zeitschrift zusammen und aus diesem Anlass wurde nach vielen Verlagssitzungen erstmals das Layout geändert. Die HNO-Nachrichten bekamen ein neues und vor allem buntes Erscheinungsbild. Dr. Sauer: „Die Anfänge in den ehrwürdigen Verlagsräumen waren für mich als journalistisches Greenhorn – zunächst im ,Frühmorgen Verlag, später bei Urban & Vogel‘ – sowohl an- als auch aufregend. Ich lernte, mit mir bisher unbekannten Korrekturzeichen und sonstigen Gepflogenheiten umzugehen und schaffte mir – damals ganz neu – extra ein Faxgerät an. Leider wechselten die zuständigen Redakteurinnen oft, Konstanten waren die Chefin vom Dienst, Monika Welzel-Friebe, und der Verlagsleiter Dr. phil. Till Uwe Keil, mit dem mich heute noch eine Freundschaft verbindet.“
Dr. Sauer war daran gelegen, leichte Lesbarkeit der HNO-Nachrichten zu erhalten, dennoch wollte er zumindest eine Fortbildung „light“ integrieren. Den Anfang machte 1994 ein Beitrag zum „Postmassagesyndrom“, der über Beschwerden nach falsch durchgeführten Massagebehandlungen – zum falschen Zeitpunkt, zu intensiv, in falscher Lagerung – berichtete. Neu ins Heft aufgenommen wurden außerdem die Rubriken „Tipps und Tricks aus der Praxis“, und „Über den Tellerrand“. Ysabelle Sauer-Saaliste lieferte als studierte Grafikdesignerin zu vielen Beiträgen Piktogramme und Zeichnungen.
LA-MED-Liebling von Anfang an
In die 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts fällt auch der Geburtsstunde der Arbeitsgemeinschaft „Leseranalyse Medizinischer Zeitschriften“ (LA-MED), deren Aufgabe es noch heute ist, regelmäßig die HNO-Ärzte in Praxis und Klinik repräsentativ zu deren Mediennutzung zu befragen. Auch wenn die HNO-Nachrichten gern als „Abrechnungsblättchen“ belächelt wurden, ein relevanter Nutzwert war ganz offenbar vorhanden und wurde von Anfang an mit guten Umfrageergebnissen honoriert: Bei den Wiedererkennungs-und Beliebtheitswerten lagen die HNO-Nachrichten im Wechsel mit den HNO-Mitteilungen des Berufsverbandes stets auf Platz eins oder zwei – und damit vor reinen Fachpublikationen wie „HNO“ oder „Laryngologie, Rhinologie, Otologie“. Auch Abonnentenzahl und Anzeigenvolumen stiegen damals stetig.
Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend waren allerdings die Tage des Klebeumbruchs gezählt, Desktop-Publishing hielt Einzug in den Verlagen. Die Digitalisierung betraf aber nicht nur für die Heftproduktion, sie machte auch vor der Liquidation nicht halt: Moderne Praxisverwaltungssysteme konnten jetzt erledigen, wofür vorher Tabellen und Tage an Zeit erforderlich waren.
In dieser Phase des Umbruchs übergab Dr. Sauer den Staffelstab im Jahr 2000 an seinen Stellvertreter Dr. Dieter Leithäuser. Beide kannten sich aus Bundeswehr- und Klinikzeiten in Gießen.
in „bunter Hund“ als Chefredakteur
Dieter Leithäuser war in Warburg in eigener Praxis niedergelassen und durch seine bundesweite Vortragstätigkeit in der HNO-Szene bei seinem Amtsantritt schon bekannt wie ein „bunter Hund“. Er schaffte es regelmäßig, zu den von ihm organisierten Fortbildungsveranstaltungen hochkarätige Referenten und zahlreiche Teilnehmer in die Warburger Wälder zu locken. Er war ganz in der Tradition von Gert B. Bienias ein Allrounder im besten Sinne mit vielen Talenten, breit gefächerten Interessen und einer bewundernswerten Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen. Tatsächlich gehörten auch Computer und moderne Medien zu seinen Spezialgebieten und er moderierte schon Chat-Foren, als noch kaum jemand wusste, was das überhaupt ist.
Als neuer Chefredakteur der HNO-Nachrichten verstand er es zusammen mit einem jungen Redaktionsteam im Verlag den HNO-Nachrichten eine neue Richtung zu geben: War die medizinische Fortbildung bisher eine Randerscheinung gewesen, so rückte sie jetzt ins Zentrum. Das honorierte sehr schnell auch die Bayerische Landesärztekammer und erkannte die HNO-Nachrichten zur zertifizierten Fortbildung an. Anders als heute gab es noch kein definiertes CME-Modul, es mussten vielmehr Fragen zu verschiedenen Beiträgen aus dem Heftinhalt beantwortet werden.
Berufspolitik, Abrechnung und Aspekte des Praxismanagements spielten neben der Fortbildung weiter eine wichtige Rolle, so beantwortete zum Beispiel in jeder Ausgabe Dr. Helmut L. Hoffmann Fragen zur GOÄ-Abrechnung.
Hinzu kam ein Magazinteil mit medizinhistorischen und kulturellen Beiträgen. Auch journalistische Elemente wie Interviews, Kongressberichte und Leserumfragen fanden Eingang ins Heft – insgesamt also eine bunte Mischung, bei der sich aber alle Inhalte an ihrer Praxisrelevanz messen lassen mussten, akademische Grundlagenforschung fand in den HNO-Nachrichten nach wie vor nicht statt. Der alte Leitsatz „Aus der Praxis für die Praxis“ erhielt also neuen Glanz, herauskommen sollte die wichtigste Zeitschrift für den HNO-Arzt in Praxis und Krankenhaus.
Bei der Wahl der Themen und der Ansprache der Autoren unterstützt jetzt ein neu ins Leben gerufener Fachbeirat. Mitglieder der ersten Stunde waren Prof. Dr. Hans Behrbohm, Dr. Hans-Udo Homoth, Prof. Dr. Oliver Kaschke, Prof. Dr. Ludger Klimek, Prof. Dr. Jürgen Kießling, Prof. Dr. Olaf Michel, Prof. Dr. Ralph Mösges, Dr. Hartmut Sauer und Prof. Dr. Norbert Stasche. Und auch das Layout ändert sich jetzt in rascher Folge, vielleicht zu rasch, die grafischen Elemente und Zeichnungen verschwinden nach und nach und werden durch Fotografien ersetzt.
Aus der Praxis für die Praxis
Als Leithäuser 2013 den Staffelstab an Prof. Dr. Gerhard Grevers weitergibt, sind die HNO-Nachrichten einmal auf links gedreht und ins 21. Jahrhundert katapultiert worden. Gerhard Grevers, niedergelassener HNO-Arzt in Starnberg, hat seither den Beirat erweitert und neue thematische Schwerpunkte gesetzt. Außerdem sind die HNO-Nachrichten endgültig im digitalen Zeitalter angekommen: Es gibt ein vollständiges Online-Archiv aller Beiträge zurück bis in Jahr 2009, einen Newsletter, ein ePaper und alle CME-Kurse auch fürs Smartphone. Das grundsätzliche Konzept der bunten Mischung aus Fortbildung und Praxis gilt aber unverändert fort und kommt an: Im aktuellen LA-MED-Ranking liegen die HNO-Nachrichten mit knappem Abstand auf Platz zwei aller Titel für HNO-Ärzte.
In Vergleich zum Jahr 1970 fällt auf: Was damals als One-Man-Show funktioniert hat, erfordert mittlerweile ein ganzes Team: Es gibt neben dem Chefredakteur einen wissenschaftlichen und einen Praxisbeirat, eine Verlagsredakteurin, eine Online-Redakteurin, eine Layouterin und e.Learning-Experten, die die CME-Kurse bauen. Zweifellos, die Welt ist komplizierter geworden, aber nach wie vor ist es HNO mit Herzblut. Das beweist auch die 172 Seiten starke Sonderausgabe, die Sie gerade lesen.
Redaktion „HNO-Nachrichten“ mit umfassender Unterstützung durch Dr. med. Hartmut Sauer, München (hartmut.sauer@icloud.com;