CHIRODIAGNOSTIK - Sog. Vertebragene Krankheitsbilder
Eine realitätsfremde Betrachtung der physiologischen Gegebenheiten im Kopf-Hals-Bereich hat in der Entwicklung der Fachdisziplinen dazu geführt, daß der vordere und der hintere Halsbereich sowie der Kopfbereich getrennt voneinander diagnostiziert und behandelt werden. Während der vordere Halsbereich den Hals-Nasen-Ohrenärzten zugeschrieben wurde, war der Dorsalbereich des Halses den Orthopäden zugeordnet. Diese unphysiologische Trennung führte dazu, daß die Hals-Nasen-Ohrenärzte den dorsalen Teil des Halses ignorierten und die Diagnostik und Therapie der Halswirbelsäule ausschließlich den Orthopäden überlassen blieben. Auf der anderen Seite jedoch zeigt sich ein fehlendes Verständnis der Orthopäden für HNO-ärztliche Symptome. Das Resultat ist, daß die Patienten mit ihren vertebragenen Symptomen von den Hals-Nasen-Ohrenärzten nicht adäquat diagnostiziert werden und andererseits von den Orthopäden nicht verstanden werden. In dieser Situation fühlt sich der betroffene Patient verständlicherweise allein gelassen und verzweifelt. Es war kein Wunder, daß Chiropraktiker einen großen Zulauf bekamen, wenn sie mit einem gezielten Handgriff eben dieses Symptom mit frappierend schnellem Erfolg behandeln konnten, obwohl verschienene Fachärzte vorher keinen Erfolg hatten. Erst in den letzten Jahren ist die Situation anders geworden: durch verschiedene Arbeiten wurde den Hals-Nasen-Ohrenärzten bewußt, daß bei verschiedenen Symptomen ein vertebragener Einfluß vorhanden sein kann. Gleichzeitig verbreitete sich ein unter schulmedizinischen Kriterien etabliertes Ausbildungswesen für die manuelle Medizin, das in vermehrtem Maße von Hals-Nasen-Ohrenärzten mitbenutzt wird. Die wissenschaftliche Diskussion über die vertebragenen Ursprünge mancher HNO-Symptome ist voll im Gange. Die Grundlagenforschung der Neuroanatomen und der Physiologen zeigen mit ihren neuesten Ergebnissen, daß die Nervenbahnen zwischen der Halswirbelsäule und den otologischen Zentren wie Vestibularapparat, Hörorgan usw. von Geburt an vorliegen und daß der Einfluß der Halswirbelsäule in variablem Maße gegeben sein kann. In dieser Diskussion ist es deshalb nicht zweckmäßig, von einem "vertebragenen Schwindel" zu sprechen, sondern es wird jeweils von der möglichen vertebragenen Komponente eines Krankheitsbildes gesprochen.
In seinem Beitrag "additive Behandlung des zental-vestibulären Schwindels in der HNO-Praxis" auf der 74. Jahrestagung der deutschen HNO-Gesellschaft in Dresden sprach Dr. Sauer von cervicogenem Rezeptorenschwindel (statt des obsoleten Begriffes HWS-Schwindel).
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